Interview
Ein Haus voller Freiräume
Erleben ohne lernen – geht das eigentlich? Sophie Demeter, Sportkoordinatorin der Jugendherberge Bad Tölz, Lorenz Burger, kulturpädagogischer Mitarbeiter der JH Regensburg, und Sepp und Sandra Fischer mit ihren Kindern Leonhard (11) und Sarah (8) aus Bad Tölz trafen sich in der dortigen Jugendherberge und sprachen darüber, wie pädagogische Konzepte zum Erlebnis werden.
Leonhard und Sarah: Seit ein paar Jahren fahrt ihr mit eueren Eltern regelmäßig in Jugendherbergen. Was mögt ihr daran?
Sarah Fischer: Es ist cool, dass ich hier machen kann, was ich will.
Leonhard Fischer: Wir waren schon in sechs Jugendherbergen. Man lernt immer wieder andere Kinder kennen.
Den Familienurlaub in einer Jugendherberge zu verbringen, ist ja schon ungewöhnlich. Wie seid ihr darauf gekommen?
Sepp Fischer Mir war lange nicht klar, dass das überhaupt geht. Ich bin dann über Holger Strobel, den Leiter der Jugendherberge hier, darauf gekommen. Ich biete für Gäste hier Survival- und Bushcrafttrainings an.
Sandra Fischer: Was gut ist, sind die Pauschalangebote. Familien können Programme über drei Tage, über fünf Tage oder über eine ganze Woche buchen. Da ist dann alles drin. Die Jugendherberge bietet einfach viel, um einen Urlaub zverbringen – ganz abgesehen vom pädagogischen Hintergrund.
Sepp Fischer: Als Familie kann man sich sehr frei bewegen, gerade auch die Kinder. Wenn ich in Regensburg in eine Jugendherberge gehe, habe ich durch das Programm, das angeboten wird, ganz andere Möglichkeiten, die Stadt kennenzulernen.
Teamer, Partner und Gäste an einem Tisch (v.l.n.r.): Sophie Demeter, Sepp, Sarah, Sandra und Leonhard Fischer sowie Lorenz Burger.
Lorenz Burger ist kulturpädagogischer Mitarbeiter in der Jugendherberge Regensburg.
Lorenz, du entwickelst für die Kultur|Jugendherberge Regensburg Programme. Was genau bietet ihr an?
Lorenz Burger: Wir möchten, dass unsere Gäste die Geschichte und Kultur der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes erleben. Wir versuchen, die unterschiedlichen Epochen der letzten 2.000 Jahre kreativ zu thematisieren: In römische Spielen, mit römischen Essen oder auch dadurch, dass wir Mosaike bauen wie vor 2.000 Jahren. Im Mittelalter gab es in Regensburg viele Klöster, also machen wir zu dieser Epoche zum Beispiel Essen, bei denen geschwiegen wird, ohne elektrisches Licht und ohne Besteck.
Was steckt dahinter?
Lorenz Burger: Es ist eine lustige Erfahrung, in einem Raum mit 30 Personen zu essen, ohne dass jemand etwas sagt oder in selbstgeschneiderten Sandalen herumzulaufen und sich vorzustellen, wie römische Soldaten mit diesen Dingern über die Alpen gelaufen sind.
Sophie Demeter: Es geht darum, den Moment wertvoll zu gestalten. Es geht darum, kurze Erlebnisse zu schaffen, die den Kindern und Jugendlichen lange im Gedächtnis bleiben.
Du bist Sportkoordinatorin hier in Bad Tölz. Was verbirgt sich genau dahinter?
Sophie Demeter: Ich bin seit Ende 2016 hier und habe die Angebote aufbereitet, zusammengefasst, weiterentwickelt und eine ganze Menge hinzugefügt. Einige Programmbausteine führe ich auch selbst durch, andere vermittle ich an andere Teamer.
Sophie Demeter, sportpädagogische Koordinatorin in Bad Tölz, Survivaltrainer Sepp Fischer und Kulturpädagoge Lorenz Burger.
Was bietet Ihr in Bad Tölz im Unterschied zu den Kollegen aus Regensburg an?
Sophie Demeter: Wir sind eine zertifizierte Sport|Jugendherberge, die vor allem Angebote für Sportgruppen und Schulklassen hat. Alles ist zugeschnitten auf Erlebnis, Bewegung, Sport und Gesundheit. Einiges liegt durch die direkte Umgebung auf der Hand: Der Blomberg zum Beispiel, der Kletterwald, der Skatepark oder auch unsere Halle „eMotionBase“. Als sie gebaut wurde, habe ich mir überlegt, wie man sie unkompliziert für unsere Gäste nutzen kann. Es lag nahe, meinen eigenen Hintergrund einzubringen und Akrobatik und Yogakurse anzubieten, was ich selbst sehr gut vermitteln kann. Die Kurse passe ich dann individuell an die Wünsche der Teilnehmer an. Ich entwickle aber auch Inhalte, die andere Themen vertiefen.
Ein Beispiel?
Beim „Chaosspiel“ werden im ganzen Haus Fragen verteilt. Jede Gruppe würfelt eine Nummer, muss dann die zur Zahl passende Frage finden, quer durchs Haus zurück zum Spielbrett rennen und sie beantworten. Die Fragen habe ich auf die Themenbereiche Gesundheit, Bewegung und kritischer Konsum ausgerichtet. Dieser Baustein ist natürlich mit anderen Fragen auf andere Jugendherbergen mit anderen Themenschwerpunkten übertragbar.
Lorenz Burger: Das stimmt. Ich habe vergangene Woche damit angefangen, Fragen zur Stadtgeschichte zu entwickeln. Ich bin schon gespannt, wie das bei den Gruppen ankommt.
Ein Beispiel dafür, wie man durch erleben lernt?
Sophie Demeter: In der Jugendherberge gibt es Freiräume, die die Kinder weder zu Hause, noch in der Schule erleben und die sie selbst gestalten. Für mich ist das eine Schule zur Eigenständigkeit und eine Schule zur Eigenverantwortung, für die die Jugendherberge den idealen Rahmen gibt. Das gilt für alle möglichen Programmbausteine, zum Beispiel auch, wenn Kids mit Sepp in den Wald gehen.
Sepp Fischer: …weil sie beim Survival- und Bushcraft-Training Dinge tun können, die sie sonst eben nirgends tun. Wir versorgen uns mit dem, was die Natur uns bietet: Lagerbauen, Feuermachen, das ist immer etwas Besonderes – und das ist reine Teamarbeit. Dann schauen wir, was wir zu essen und zu trinken finden, zum Beispiel Insekten, die wir grillen. Und wir stellen Notfallszenarien nach mit Verletztentransport, Notsignal, auf sich aufmerksam machen – das schafft Vertrauen in sich selbst und zueinander.
“In der Jugendherberge gibt es Freiräume, die die Kinder weder zu Hause, noch in der Schule erleben und die sie selbst gestalten.”
Sophie Demeter: Sepp gibt den Kids einen Rahmen, der Sicherheit schafft. Dass sie in diesem Rahmen mit Feuer spielen können, ist eine große Freiheit, die sie nutzen und mit der sie Erfahrungen sammeln können.
Sepp Fischer: Die Jugendlichen, die an meinem Survivaltraining teilnehmen, sind viel interessierter und fragen auch viel mehr nach. Sie ziehen Verbindungen zu eigenen Erfahrungen und persönlichem Wissen.
Lorenz Burger: …und zwar ganz ohne Druck. Man darf nicht vergessen, dass Kinder und Jugendliche bei uns ihre Freizeit verbringen. Deshalb ist es wichtig, dass sie Dinge tun, die ihnen Spaß machen. Dann lernen sie ganz automatisch, ohne es zu merken.
Was wird denn erlernt?
Lorenz Burger: Die Jugendherberge ist ein Ort, an dem das Gemeinschaftliche gestärkt wird. Einerseits ist das Interagieren mit anderen, noch so unterschiedlichen Menschen bei uns entscheidend. Alles läuft in der Gruppe ab, was die soziale Kompetenz ganz selbstverständlich verbessert.
Sandra Fischer: Das Medienangebot hier ist geringer als zuhause. Dadurch hat man einfach mehr Zeit. Und diese Zeit verbringt man ganz automatisch miteinander.
Sophie Demeter: Ja, da sitzen Familien zwischen Fußballgruppen und Schulklassen. Und alle sind irgendwie zusammen.
Lorenz Burger: Der positive Angang, zu zeigen, dass und wie etwas Spaß machen kann, führt viel eher dazu, alle zu begeistern und einzubinden. Sicher weise ich zwei Jungs, die während eines Schweigeessens die ganze Zeit reden darauf hin, dass sie alle anderen im Raum stören.
Leonhard Fischer: Im Silencium in der Schule müssen wir auch immer leise sein. Wer da redet, bekommt aber direkt eine Verwarnung und wer dann nicht ruhig ist, muss die Tische putzen.
Sandra Fischer: Das ist der Unterschied zur Schule.
Leonhard Fischer: Ja. Ich muss am Mittwoch mit drei Mädchen länger bleiben und alle Tische putzen, weil wir in Religion laut waren. In der Jugendherberge würde das nie passieren.
Sepp Fischer: Hier lernt man soziale Kompetenz.
Sophie Demeter: Absolut, ja. Wenn mehrere Klassen hier sind, gibt es immer Streit und Reibungspunkte. Da müssen alle Rücksicht nehmen und sich einigen, oft eben mit Hilfe der Lehrer und Gruppenleiter.
Lorenz Burger: Aber auch innerhalb der einzelnen Gruppen gibt es ja ganz eigene Dynamiken. Wenn ein Fünftklässler Heimweh hat, merkt man: der wird von der Gruppe ganz automatisch aufgefangen. Man kümmert sich umeinander und lässt keinen alleine.